Der Herbst ist traditionell die Zeit der nationalen Buchpreise im deutschsprachigen Raum. Deutschland, Österreich und die Schweiz küren das Buch des Jahres. Seit etwa Mitte September stehen die Nominierten fest, die (noch) im Rennen um die begehrten Preise sind.
Den Anfang hat, wie jedes Jahr, die Jury des Deutschen Buchpreises gemacht und bereits im August eine Longlist mit 20 Titeln bekanntgegeben, die das Zeug für eine Prämierung haben. Aus dieser Longlist wurde dann im September eine Shortlist, die nun sechs Bücher umfasst. Aus diesen sechs Büchern wählt die Jury eine Siegerin oder einen Sieger aus. Wer gewonnen hat, wird erst im Rahmen der Preisverleihung am 17. Oktober bekanntgegeben. Die Veranstaltung markiert gleichzeitig auch den Auftakt zur Frankfurter Buchmesse, dem wichtigsten Treffpunkt der Buchbranche im deutschsprachigen Raum.
Das Auswahlverfahren und die Terminsetzungen für den Österreichischen Buchpreis laufen ähnlich ab. Nur ist alles ein wenig kleiner: Die 10 Titeln umfassende Longlist wurde Anfang September verlautbart, die Shortlist mit fünf Büchern folgt Mitte Oktober. Auch hier findet die Bekanntgabe der Preisträger*innen bei einem Festakt zur Eröffnung der Buchmesse Buch Wien am 21. November statt.
In der Schweiz läuft alles etwas gemütlicher ab. Im September wurden die fünf für den Schweizer Buchpreis nominierten Bücher bekanntgegeben, die dann bei einer Lesetour im Oktober und November bei Veranstaltungen in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich vorgestellt werden. Die Gewinnerin / Der Gewinner wird am 20. November in Basel präsentiert.
Es bleibt also spannend. Wir haben ganz wie es uns gefällt jeweils zwei Bücher aus den Nominierten jedes Landes ausgewählt, die wir hier besonders empfehlen wollen.
Wir beginnen mit Österreich, wo das Teilnehmer*innenfeld ja noch eingeschränkt wird. Mal sehen, ob es davon jemand auf die Shortlist schafft… Da ist zum Beispiel Iris Blauensteiner mit „Atemhaut“ noch im Rennen. Darin beschreibt sie die Identitätssuche eines jungen Mannes inmitten einer mehr und mehr automatisierten Arbeitswelt. Edin versinkt in der Orientierungslosigkeit, nachdem sein Job weg-automatisiert wurde. In der Echtwelt kann er nicht mehr mithalten, daher flüchtet er sich in die imaginäre Welt der Computerspiele. Was ist dein Leben wert, wenn deine Leistung von der Gesellschaft nicht mehr benötigt wird? Ein feinfühliges und gleichzeitig kritisches Porträt eines Lebens und einer Gesellschaft im Umbruch.
Eine zweite Nominierte ist Teresa Präauer mit ihrem Buch „Mädchen“. Darin wird eine ziemlich vielfältige Menschengruppe porträtiert, eben „Mädchen“. Wer sind die eigentlich, was können die und welche Bilder haben wir von ihnen im Kopf? Teresa Präauer nähert sich in ihrem charmanten Buch diesem Begriff / diesem Seinszustand über persönliche Erinnerungen und Beobachtungen an. Es ist ein herrlich heiteres Buch, das unseren Blick für Klischees über weibliche Heranwachsende und ihre tatsächlichen Nöte fast spielerisch schärft.
Von der deutschen Shortlist haben wir zwei Bücher ausgewählt, bei denen Familien im Mittelpunkt stehen. Daniela Dröscher erzählt in ihrem Roman „Lügen über meine Mutter“ über eine Frau (die Mutter), die sich nicht unterkriegen lässt. Sie gibt im Deutschland der 1980er Jahre ihren Kampf um Selbstbestimmung nicht auf, obwohl sie Tag für Tag den subtilen Anfeindungen ihres Mannes und seiner Familie ausgesetzt ist. Der Mann (der Vater) gibt nämlich seiner Frau und ihrem vermeintlichen Übergewicht die Schuld an allem, was in seinem Leben aus seiner Sicht schiefläuft: Die fehlende Anerkennung im Dorf und im Beruf, der verwehrte soziale Aufstieg. Erzählt wird aus Sicht der Tochter, die sich als Erwachsene in der Rückschau bemüht festzustellen, wer eigentlich welche Lügen verbreitet hat, welche Geheimnisse in der Familie kultiviert wurden und warum es vor so vielen gesellschaftlichen Normen kein Entrinnen gab.
Auch in „Dschinns“ von Fatma Aydemir lernen wir eine Familie kennen. Nämlich jene von Hüseyin, der sich nach 30 Jahren als Gastarbeiter in Deutschland seinen Lebenstraum erfüllt und eine Eigentumswohnung in Istanbul kauft. Doch schon beim Einzug erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt. Zu seinem Begräbnis reist die komplette Familie aus Deutschland an. Sechs total verschiedene Menschen, deren Zusammenhalt auf den ersten Blick nur darin besteht, zufällig miteinander verwandt zu sein. Fatma Aydemir schafft es, jeder dieser Figuren eine eigene Stimme, einen unverwechselbaren Charakter und ganz persönliche Sehnsüchte zu geben. Kann Familie trotz so unterschiedlicher Weltsichten, Wünsche und Werte gelingen?
Aus dem Schweizer Nominiertenkreis haben wir „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon ausgewählt. Ein Buch, das auch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises zu finden ist. Darin geht es ebenfalls um Familie und Geheimnisse und zwar vor allem die der Großmütter und Mütter. Die nonbinäre Hauptfigur, ein Mensch also, der sich weder als Frau, noch als Mann identifiziert, beginnt sich aufgrund der Demenzerkrankung seiner Großmutter mit der Geschichte der weiblichen Blutlinie auseinanderzusetzen, die in der Familie nur bruchstückhaft überliefert ist und ansonsten konsequent verschwiegen wurde. Im Zuge ihrer Suche nach Antworten hinterfragt die Erzählfigur Geschlechter, Traumata und Klassenzugehörigkeiten.
Thomas Hürlimann entführt uns in seinem Buch „Der rote Diamant“ in die 1960er Jahre und die Welt eines Klosterinternats in den Schweizer Bergen. Dort scheint die Zeit irgendwo zwischen Mittelalter und Monarchie stehengeblieben zu sein. Ab September fällt Schnee, einmal jährlich kommt die österreichische Ex-Kaiserin Zita zu Besuch und lernen musst du, was schon Generationen vor dir gelernt haben. Da kommt dem Schüler Arthur Goldau und seinen Freunden die Geschichte rund um den unglaublich wertvollen Diamanten aus der Krone der Habsburger, der im Kloster nach dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie versteckt worden sein soll, gerade recht. Nach dem Motto „Endlich passiert mal etwas“ machen sie sich auf die Suche bis tief hinein in die Katakomben des Klosters und der Weltgeschichte. Eine spannende Coming-of-Age-Geschichtsstunde durch die leise Bob Dylans „The Times They Are A-Changin’” weht.
Vielleicht haben wir ja hier schon eine Gewinnerin oder einen Gewinner vorgestellt. Unter „Buchbestellung“ haben wir für Sie die Nominierten aus den drei Ländern in wechselnder Zusammensetzung bis zum Abschluss der Prämierungen vorausgewählt. So können Sie ihre persönlichen Favorit*innen ganz leicht bei uns bestellen.
- Iris Blauensteiner
Atemhaut
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Verlag Kremayr & Scheriau (zur Verlags-Website) - Teresa Präauer
Mädchen
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Wallstein Verlag (zur Verlags-Website) - Daniela Dröscher
Lügen über meine Mutter
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Kiepenheuer & Witsch Verlag (zur Verlags-Website) - Fatma Aydemir
Dschinns
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Hanser Verlag (zur Verlags-Website) - Kim de l‘Horizon
Blutbuch
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Dumont Verlag (zur Verlags-Website) - Thomas Hürlimann
Der rote Diamant
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S. Fischer Verlag (zur Verlags-Website)